Nach all den Urlaubsberichten auch mal wieder was handfestes
zu meinen Arbeitsstellen:
Schulbeginn in der
Preescolar
Die erste Arbeitswoche bestand aus administrativen Arbeiten,
der Einschreibung der Schüler für das neue Schuljahr 2013-2014.
Dies bedeutete,
dass den 3 Nivels Kinder gemäß ihrem Alter oder ihrer Entwicklungsstufe
zugeteilt wurden. Diese Papierarbeit wurde ausschließlich per Hand vorgenommen,
da kein Computer zur Verfügung steht. Normalerweise benötigt man dafür die
Geburtsurkunde des Schülers, die Ausweisnummern der Eltern, Adresse sowie
Telefonnummern und den Impfausweis. Jedoch besitzen viele Kinder noch keine
Geburtsurkunde oder deren Eltern keinen Ausweis- dennoch konnten die Kinder
eingeschrieben werden. Ob der Name dann richtig geschrieben wurde, weiß halt
keiner (Gerade weil mir die Namen diktiert wurden und ich bei besonders
ausgefallenen Namen oft ratlos bezüglich der Schreibweise war, die Lehrerinnen
neben mir genauso und die eigenen Eltern waren teilweise Analphabeten, konnten
mir also auch nicht weiterhelfen.)
Oftmals kamen auch nicht die eigenen Eltern
zu der Einschreibung, sondern die Tante oder Nachbarin, die dann meist noch
weniger Informationen besaß, teilweise nur den Vornamen und einen der Nachnamen
kannte!
Wenn man mal überlegt, wie folgenträchtig das Fehlen der
Geburtsurkunde ist, stellt man fest- Wer keine Geburtsurkunde hat, ist vor dem
Gesetz gar nicht existent! Diese Gewissheit fand ich erschreckend und kann seit
dem auch wesentlich besser nachvollziehen, wieso viele Statistiken über
Nicaragua als unvollkommen gelten, da gar nicht die gesamte Bevölkerung
registriert ist und so jegliche Schätzungen zwecklos sind!
Am Ende dieser Woche verblieben wir mit 35 Kindern im ersten
Nivel, 51 im zweiten und 42 im dritten. Gemessen an der Anzahl der Stühle, die
die Vorschule besitzt, sind das schlichtweg zu viele Kinder! Diese Menge leise
zu halten, für Konzentration und Aufmerksamkeit zu sorgen, wird ein großer
Kraftakt für all die Lehrerinnen.
Hier die Lehrerin
Lucia zu sehen, bei der fleißigen Bastelarbeit von neuen Mobiles!
Damit im neuen Schuljahr die Schule wieder von neuem Glanz
erstrahlt, wurden die Klassenräume geputzt und neu dekoriert, wir bastelten
Wandbilder und bunte Figuren, die Zahlen und Vokale wurden aufgehängt, Obst und
Gemüse in allen Farben ausgeschnitten und als Mobile im Raum verteilt. Dabei
entdeckten wir auch einige Kakerlaken, und über die Ferien nisteten sich in der
Küche auch Ratten ein. Gegen diese mussten wir schnell mit Gift vorgehen, damit
die Hygiene des Kochens gewährleistet wird!
Und schließlich stand er vor der Tür, der erste Schultag für
die 121 Schüler! Gefeiert wurde mit einer Piñata für die Kinder, einer großen
bunten Figur aus Pappmaché, die an die Decke mit einer Schnur gehängt wird, und
auf die die Kinder mit einem Holzstock einschlagen, bis all die Süßigkeiten,
die in ihrem Körper sind, auf den Boden
purzeln. Darauf stürzen sich dann alle Kinder und jeder versucht, so viele
Süßigkeiten wie möglich abzustauben. Das kann man sich in etwa wie einen
Faschingsumzug in Deutschland vorstellen, wenn von den Wagen Süßes geworfen
wird.
Dazu wurden dann Schokomilch aus der Plastiktüte und
Picos(süßes Zuckergebäck) an alle Kinder verteilt, und im Hintergrund lief
traditionsgemäß Marimbamusik! Jedoch hielt ich diesen Start in das Schuljahr
für nicht ausschließlich gelungen, da die Kinder direkt mit Süßigkeiten begrüßt
wurden, anstatt an gesundes, vitaminreiches Essen herangeführt zu werden. Die
Köchinnen beginnen nämlich erst die zweite Schulwoche mit dem täglichen Reis
und Bohnen oder Suppen, da die Regierung die Grundnahrungsmittel (Reis, Bohnen,
Mais…) noch nicht geliefert hat.
Es war ein sehr schöner erster Schultag und auch sehr
tränenreich für manche Schüler, die einfach nicht von ihren Eltern loslassen
wollten und sich noch nicht so recht damit anfreunden konnten, nun täglich in
diese Vorschule zu gehen. Leider waren manche Kinder auch für falsche Nivels
eingeschrieben und mussten erstmal Klassenräume wechseln, denn dies ist eine
Folge der Papierarbeit per Hand- wenn kein PC-Programm das Alter jedes Kindes
überprüft und automatisch einkategorisiert entstehen schnell mal Fehler. Aber
am Ende des Tages saßen alle Kinder in dem richtigen Raum und viele strahlende
Gesichter verabschiedeten sich von uns!
Auch dieses
Jahr haben wir ein behindertes Kind in unserer Vorschule, ein 7jähriges Mädchen
mit Downsyndrom. Eigentlich müsste sie auf eine Sonderschule gehen, die sich
speziell dem Kind widmen kann, aber ihre Eltern möchten sie dort nicht
hinschicken, und meine Vorschule hat das Kind kurzerhand angenommen. Leider ist
sie sehr unkonzentriert, folgt keinen Anweisungen und schlägt so zum Beispiel
andere Kinder und scheint nicht aufnahmefähig für Lerninhalte zu sein.
Eigentlich ist sie auch schon zu alt für die Vorschule und müsste schon längst
in der ersten oder zweiten Klasse sein, wurde aber von ihren Eltern zu spät
eingeschult!
Dennoch gibt es auch
eine gute Neuigkeit, Thelma, die ältere der taubstummen Schwestern, geht dieses
Jahr auf eine Sonderschule in die erste Klasse. Sie wurde nach langen
Unterhaltungen von mir mit der Familie schließlich dafür eingeschrieben und
wird täglich mit einem Schulbus abgeholt und auch wieder zurückgebracht. So
kann sie nun adäquaten Unterricht erhalten und wird weiter gebildet, anstatt
mit 7 Jahren immer noch in die Vorschule zu gehen!
Ziele für dieses
Schuljahr
In einer Infoveranstaltung für alle Eltern bezüglich des
neuen Schuljahres gaben wir einige Neuerungen bekannt und legten Ziele für das
Schuljahr fest. Um das unorganisierte und unpünktliche Eintreffen vieler Kinder
zum Unterrichtsbeginn zu vermeiden, werden wir dieses Schuljahr nur bis 8.20
die Türen geöffnet halten, da Unterrichtsbeginn bereits um 8.00 ist. Die
Kinder, die nach dieser Uhrzeit eintreffen, werden nicht mehr hereingelassen.
Dies soll mehr Ruhe in die Klasse bringen, da nicht ständig neue Kinder
eintreffen und somit für ein besseres, konzentrierteres Lernverhalten sorgen.
Weiterhin können die Köchinnen so für eine genaue Anzahl kochen, da wir um 8.20
die Klassengröße jedes Nivels weitergeben und für exakt diese Kindergruppe
gekocht wird. Denn im letzten Schuljahr wurde oft für viel zu viele gekocht, da
man nie wusste, ob nicht in einer Stunde noch weitere Kinder eintrudeln und so
verlor die Vorschule oft Essen.
Außerdem wird eine Gruppe von Eltern alle 15 Tage das
Gelände der Vorschule säubern, Plastikmüll aufheben und für eine gesunde Umwelt
sorgen. Dies ist eine Initiative der Eltern, die sich freiwillig bereit
erklärten im Wechsel zu arbeiten und für ihre Kinder eine schönere
Schulatmosphäre zu schaffen.
Die Eltern wurden auch erneut darauf hingewiesen, dass den
Kindern bitte keine Süßigkeiten oder Chips mitgegeben werden sollen,
stattdessen Früchte und Gemüse stets erbeten wird! Auch das tägliche
Schultaschengeld soll massiv eingeschränkt werden, statt 10Pesos(knapp ein
halber Dollar) sollen nur 2 Pesos höchstens vergeben werden, und dies unter der
Bedingung, dass davon Gesundes gekauft wird. Auch mit der Kioskbesitzerin
gegenüber der Vorschule wollen wir noch einmal sprechen, damit diese ihr
Süßigkeitenangebot einschränkt und mehr Obst anbietet.
Alle Kinder haben zu Beginn des Jahres auch neue Materialien
mitgebracht, Bunt- und Bleistifte, Knete, Klebstoff, Kuscheltiere und
Spielsachen, Legosteine, Toilettenpapier, Schulhefte und Zeichenblöcke. Nun
haben wir erst mal einen Überfluss an Materialien und können super mit den
Kindern arbeiten, da alles wichtige vorhanden ist!
Die Mobile Schule
Neues Jahr- neues Glück. Gemäß diesem Vorsatz startete ich
dieses Jahr in ein neues Projekt, der mobilen Schule. Diese arbeitet mit
„Huelepegas“ zusammen, das sind klebstoffabhängige, obdachlose Männer zwischen
10 und 25 Jahren [Huele=er, sie, es riecht; pega= Klebstoff]. Meist sind sie
von ihren Familien weggelaufen, zum Beispiel wegen häuslicher Gewalt. Oder auch
weil die Mütter sich nicht ausreichend um sie kümmerten, da sie noch 5 andere
Kinder haben und schlichtweg mit der Unterhaltung der Familie, sei es
finanziell, nahrungstechnisch oder bezogen auf Liebe, überfordert sind. Der
Klebstoff unterdrückt das Hungergefühl und verdrängt Probleme oder psychischen
Druck und wird legal auf dem Markt verkauft. Wir arbeiten mit einem kleinen
fahrbaren Wagen auf 4Rädern, in dem Tafeln mit der Uhrzeit, dem Alphabet,
Grundrechenarten oder ähnlichem untergebracht sind. Damit laufen wir in
Stadtteile Masayas, in denen die Männer sich tagsüber aufhalten.
Ein
18jähriger Junge mit seiner mit Klebstoff gefüllten Flasche, die er immer im Kragen
des T-Shirts trägt oder direkt am Mund, um tief einzuziehen und sich zu
benebeln.
Jeden Montag,
Mittwoch und Freitag besuchen wir sie, unterhalten uns mit ihnen, erlernen
Grundlagen der Allgemeinbildung oder sprechen über private Erlebnisse, Probleme
oder Hoffnungen. Manchmal malen wir einfach Bilder, lernen den Namen zu
schreiben oder spielen Karten oder Fußball. Viele von ihnen können auch mit 20
noch nicht ihren eigenen Namen schreiben, da sie nie zur Schule gegangen sind.
Jeronimo beim Schreiben üben! Und auch wieder mit seiner Klebstoffflasche im Tshirt.. |
Wir versuchen ihnen somit eine Chance für die Zukunft zu geben, einen
geregelteren Tagesablauf sowie Zugang zu sozialen Kontakten. Wichtig für das
Verständis der Mobilen Schule ist, dass es in erster Linie nicht um
Wissensvermittlung geht, sondern viel mehr um eine Steigerung des
Selbstwertgefühls der Kinder, selbstständig ihre Lebenssituation
anzupacken, einen Ausweg aus den Drogen zu suchen.
Sie haben nämlich oft nicht die Chance sich selbst auszuprobieren und gelobt zu werden.
Sie haben nämlich oft nicht die Chance sich selbst auszuprobieren und gelobt zu werden.
Beim Kartenspielen zusammen mit Ruth, der Verantwortlichen der Mobilen Schule. Die kleinen Jungs rechts im Bild sind 10 Jahre alt- und er im grünen Tshirt schnüffelt währenddessen an seinem Kleber.. |
Viele kommen aus ärmsten Verhältnissen, sind drogenabhängig und leben auf der Straße. Die Regierung kümmert sich wenig um die Süchtigen, da sie nicht als Teil der Gesellschaft angesehen werden- so registriert die Polizei nicht mal den Tod eines der Jungen und will diesen Fall nicht untersuchen. So fing die Woche nämlich leider mit einem traurigen Moment an, denn der 18jährige Alexander kam bei einem Ausflug der Jungs an die Laguna de Masaya beim Baden ums Leben. Er ist schon der 3.te Todesfall der Männer innerhalb von 2Jahren, 2 davon starben in der Laguna. Dass dieses Gewässer zudem kontaminiert ist, was natürlich schädlich für die Gesundheit ist, stört keinen, sie gehen dort trotzdem schwimmen. Auf die Beerdigung von Alexander wollte keiner seiner Freunde gehen, da sie meinten, sie seien zu dreckig und hätten keine sauberen Klamotten, um sich dort zu zeigen. Das ist traurig, denn ohne sanitäre Einrichtungen können sie sich nicht duschen und neue, saubere Kleidung können sie sich nicht leisten.
Sie leben in einem Park in Masaya, in dem in einer Ecke eine
große Matratze liegt und daneben steht ein kleiner Grill. Das ist all ihr Hab
und Gut, darauf schlafen sie zu zehnt.
Das "Bett" für 10 Männer. |
Viele von ihnen sind Schuhputzer und
daher komplett mit schwarzer Farbe an Händen, Armen und Klamotten voll, aber
stolz, eine Arbeit zu haben und sich Geld zu verdienen anstatt betteln gehen zu
müssen.
Herson mit seinem Schemel für die Schuhputzer, der mich bat sein Foto zu entwickeln, so stolz ist er darauf. |
Obwohl diese Männer so zusammen halten und wie eine eigene
Familie sind, gab es in letzter Zeit wohl auch sexuelle Übergriffe innerhalb
der Gruppe, einige der älteren hätten sich nachts wohl an dem kleinsten,
12jährigen vergriffen. So werden wir nun mit einer Frauenrechtsorganisation
zusammen arbeiten, die den Männern Informationsveranstaltungen über
Sexualkrankheiten, den richtigen Gebrauch eines Kondoms und ähnlichem gibt, als
Prävention für sexuelle Übergriffe.
Beim Verteilen der Altkleider, die meine Eltern bei ihrem Besuch mitbrachten.. Jeder bekam ein Tshirt und eine Basecap! |
Stolz zeigt er, dass er ein neues Tshirt hat. |
Meine Aufgabe besteht hauptsächlich darin, mich mit den
Männern zu unterhalten, sie zu unterstützen und zu motivieren, Neues zu
erlernen (Anstatt nur zu malen sie zu fördern, um zu lernen ihren eigenen Namen
zu schreiben). Dabei fällt mir schwer, einem Gleichaltrigen ins Gesicht zu
sehen, der ohne Geld und Zukunftschancen lebt und auf der Straße sein Zuhause
hat, während ich in einem anderen Land lebe, das Studium vor mir, quasi am
„Anfang meines Lebens“- und seins scheint schon so verloren. Außerdem ist der
körperliche Kontakt teilweise eine Gradwanderung, denn wir begrüßen uns mit
Handschlag, manchmal umarmen wir uns auch. Diese körperliche Nähe ist vor allem
für die Kleineren wichtig, sagt meine Chefin Ruth, da sie mit 10 Jahren schon
der Liebe der Eltern entzogen sind und oftmals keine Bezugsperson haben.
Dennoch- stellt euch vor, eine komplett verdreckte Person, mit schwarzen
Zähnen, ohne große Hygiene zu umarmen. Ihr könnt euch vorstellen, dass dies oft
schwer ist!
Der Englischkurs
Glücklicherweise ist mein Englischkurs nach den Winterferien
wieder mit neuen Teilnehmern angelaufen, jetzt sind es ungefähr 10, die
Dienstags und Donnerstags kommen. Es ist eigentlich ein Kurs für
Fortgeschrittene- aber mittlerweile ist es eine Mischung aus allen
Leistungsstufen, von Beginnern ohne jegliche Sprachkenntnisse bis hin zu
Teilnehmern, die fast fließend sprechen. Das bedeutet natürlich immer etwas
Improvisation bezüglich der Unterrichtsgestaltung: Einerseits einfache Aufgaben
und viele spanische Erklärungen für die Anfänger, andererseits fordernde
Konversationen auf Englisch für die Fortgeschritteneren. Das ist mit mir als
einzige Lehrerin aber schwer umsetzbar.. Ich bin zufrieden, dass es einen
solchen kostenlosen Kurs in Masaya gibt, der allen Bevölkerungsschichten die
Türen öffnet um die Weltsprache zu erlernen und so bessere Chancen auf dem
Arbeitsmarkt zu erzielen. Denn der Anteil der Nicaraguaner, die Englisch
sprechen, ist wesentlich geringer als der Anteil der Deutschen!
Ich bin gespannt, was
sich in meinen Arbeitsstellen noch verändert innerhalb der mir bleibenden 2
Monate! Besonders bezüglich der Mobilen Schule hätte ich gerne noch mehr Zeit
in Nicaragua, da ich dieses Projekt für so sinn- und wertvoll erachte und gerne
früher darauf gestoßen wäre um länger dort zu arbeiten.
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